Licht und Schaden . Eine Reise durch das Diwali‑Fest in Indien

Autor: Torsten Matzak

Wenn ganz Indien zu leuchten beginnt

Im Herbst, wenn der Monsun sich verzogen hat und der Himmel über Indien klar wird, verwandeln Millionen winziger Öllampen, bunt blinkender Lichterketten. Und es prasseln Feuerwerkskörper in Städten, Dörfern und verwandeln die Felder in ein leuchtendes Farbenmeer. Der Geruch von Ghee und süßen Speisen liegt in der Luft, Händler feilschen vor dekorierten Ständen, Familien packen Geschenke aus, und aus den Tempeln klingt das gemeinsame Murmeln von Gebeten. Diwali, „das Fest der Lichter“, ist der Höhepunkt des indischen Festkalenders und zugleich ein Spiegel der indischen Gesellschaft. Es ist ein Fest der Freude, des Konsums, der Hoffnung und des Neuanfangs – aber auch ein Fest, das alte Wunden freilegt und neue Konflikte hervorbringt.

Als Reisejournalist, der das „Lichterfest“ seit Jahren erlebt und begleitet, lade ich Sie ein zu einer Reise durch die Geschichte, zu den religiösen Bedeutungen und zu den gesellschaftlichen Realitäten dieses größten indischen Festes. Ich werde die Stimmen von Menschen aller Schichten zu Wort kommen lassen: vom Straßenhändler in Neu‑Delhi über die slum‑Bewohnerin in Bhopal, von religiösen Führern bis hin zu Umweltschützern. Die Reise führt zurück in die Vergangenheit und zeigt, wie sich das Diwali‑Fest entwickelt hat und warum es für Hindus, Jains, Sikhs, Buddhisten und Menschen anderer Glaubensrichtungen gleichermaßen wichtig ist. Die Vielfalt der Erzählungen zeigt, dass die Lichter nicht für alle gleich hell brennen – sie werfen auch lange Schatten.

Historische Wurzeln: Vom Erntefest zum „Lichterfest“

Der Ursprung von Diwali liegt im Dunkel der Zeit. Historiker gehen davon aus, dass das Fest auf uralte Ernte‑ und Lichterfeste zurückgeht, die das Ende der Monsunzeit und den Beginn der Erntesaison markierten. Ein Artikel des Sri Venkateswara Cultural Center (SVCC) weist darauf hin, dass Diwali bereits in Sanskrit‑Texten wie dem Padma Purana und dem Skanda Purana erwähnt wird. Auch Reisende wie der persische Gelehrte Al‑Biruni oder der venezianische Entdecker Niccolò de’ Conti berichten im Mittelalter von einem indischen Herbstfest, bei dem Menschen ihre Häuser putzten, neue Kleider trugen und Lichter entzündeten.

Schon im 3. Jahrhundert n. Chr. wird in der Kamasutra auf ein „Fest der Lichter“ hingewiesen. Damals spielten Lichter eine praktische Rolle: In der monsunfreien Jahreszeit boten sie Schutz vor Dunkelheit und bösen Geistern. Zugleich symbolisierten sie den Sieg des Lichts über die Dunkelheit – eine Metapher, die bis heute im Mittelpunkt steht. Spätere puranische Texte verknüpfen das Fest mit Legenden aus den großen hinduistischen Epen: mit der Rückkehr Ramas nach Ayodhya, mit Krishnas Sieg über den Dämonen Narakasura, mit der Göttin Lakshmi und in Ostindien mit der furchteinflößenden Kali. Diwali ist damit ein „Hybridfest“, ein Mosaik aus regionalen und spirituellen Traditionen.

Diwali in verschiedenen religiösen Traditionen

Hindus: Für die Mehrheit der Hindus ist Diwali mit Lakshmi, der Göttin des Reichtums und des Glücks, verbunden. Am dritten Tag des fünftägigen Festes wird sie mit Opfergaben und Lichterketten begrüßt, um Wohlstand für das kommende Jahr zu erbitten. In Nordindien erinnert Diwali an Rama, der nach 14‑jähriger Verbannung mit seiner Frau Sita und seinem Bruder Lakshmana nach Ayodhya zurückkehrte. Laut der Ramayana zündeten die Bewohner der Stadt Öllampen an, um ihren König den Weg zu erleuchten – ein Motiv, das bis heute in jedem Diya (Öllampe) anklingt. In Gujarat fällt Diwali mit dem Beginn des neuen Geschäftsjahres zusammen; hier werden Rechnungsbücher vor Lakshmi gelegt, und Geschäftsleute beten um Erfolg. In Südindien gedenkt man des Sieges von Krishna über Narakasura, während in Westbengalen die Göttin Kali im Mittelpunkt steht.

Jains: Für Jains ist Diwali das Fest der Erleuchtung. Am 14. Tag des hinduistischen Monats Kartika erlangte Mahavira, der 24. Tirthankara, im Jahr 527 v. Chr. Nirvana. Jainische Texte berichten, dass die Götter Lichter anzündeten, als Mahavira in Moksha einging. Eine Jain‑Website beschreibt, wie Gläubige am Diwali‑Abend Lampen (diyas) anzünden, Nirvan Ladoo anbieten und das Kalpa Sutra oder andere heilige Schriften rezitieren, um der spirituellen Befreiung zu gedenken. Für Jains symbolisieren die Lampen das Licht der Erkenntnis, das die Dunkelheit der Unwissenheit vertreibt.

Sikhs: Bei den Sikhs fällt Diwali mit Bandi Chhor Divas zusammen. 1619 wurde der sechste Guru, Guru Hargobind, aus dem Gwalior‑Fort entlassen. Der Mughal‑Kaiser Jahangir erlaubte ihm, 52 hinduistische Fürsten mitzunehmen; deshalb erinnert das Fest an Befreiung und Religionsfreiheit. Historiker weisen darauf hin, dass der Grundstein des Goldenen Tempels in Amritsar am Diwali‑Tag 1577 gelegt wurde. In der heiligen Stätte erstrahlen am Diwali‑Abend Tausende Lampen im heiligen See – ein spektakuläres Bild für Pilger und Touristen.

Buddhisten (Newar): Unter den Newar‑Buddhisten Nepals hat Diwali (Tihar) ebenfalls eine Bedeutung. Sie verehren während der fünf Tage verschiedene Gottheiten, darunter Lakshmi, und ehren Tiere wie Krähen, Kühe und Hunde. Im Kontext Indiens ist dieser Aspekt weniger präsent, doch zeigt er die Vielfalt des Festes.

Von der Antike zur Neuzeit: Wandel durch Politik und Kultur

Während der Mogulzeit erlebte Diwali Phasen der Unterstützung und Unterdrückung. Einige Herrscher wie Akbar sollen die hinduistische Tradition toleriert und selbst an Feiern teilgenommen haben; andere, etwa Aurangzeb, sollen das Zünden von Lampen verboten haben. Britische Kolonialbeamte betrachteten Diwali zunächst als exotische Kuriosität, erkannten aber schnell dessen ökonomische Kraft und nutzten den Handel mit Feuerwerkskörpern und Zuckerwaren für Steuereinnahmen.

Mit dem Aufkommen nationalistischer Bewegungen im 19. Jahrhundert wandelte sich Diwali zu einem Symbol des Widerstands: das Licht als Zeichen für den Wunsch nach Unabhängigkeit. Mahatma Gandhi wies in seinen Schriften darauf hin, dass wahres Licht aus spiritueller Erkenntnis und moralischem Handeln entsteht – ein Gedanke, der später in modernen Debatten über Umweltschutz und sozialen Ausgleich wieder auftaucht.

Das Ritual und seine Varianten: Fünf Tage voller Bedeutungen

Diwali ist kein einzelner Tag, sondern besteht traditionell aus fünf Abschnitten, die je nach Region und Glauben variieren:

  1. Dhanteras (Tag 1): Es werden neue Küchenutensilien, Schmuck oder Münzen gekauft. Die Häuser werden gereinigt, und Rangoli – kunstvolle Sand‑ oder Reispulverbilder – schmücken die Eingänge.
  2. Naraka Chaturdashi oder Choti Diwali (Tag 2): Man erinnert an die Befreiung aus dem Bösen; Körper und Häuser werden mit speziellen Ölen gesalbt und gereinigt.
  3. Diwali oder Lakshmi Puja (Tag 3): Der wichtigste Tag. Familien tragen neue Kleider, es werden Süßigkeiten vorbereitet und gebetet, um die Göttin Lakshmi willkommen zu heißen. Auf Gujarati‑Rechnungen werden neue Geschäftsbücher eröffnet.
  4. Govardhan Puja oder Padva (Tag 4): Hier wird oft eine Kuh verehrt, die als heilig gilt und Wohlstand symbolisiert. In Nordindien wird dieser Tag auch dem Berg Govardhan gewidmet – einem Mythos aus Krishnas Leben.
  5. Bhai Dooj (Tag 5): Das Fest der Geschwisterliebe. Schwestern segnen ihre Brüder und erhalten im Gegenzug kleine Geschenke.

Diese Struktur zeigt, wie Diwali sowohl familiäre als auch wirtschaftliche Aspekte vereint: Kaufen, Schenken, Reinigen, Beten und Besuchen. Der Soziologe M.N. Srinivas beschrieb Diwali als „Mikrokosmos indischer Kultur“, in dem religiöse Rituale, Wirtschaftsbeziehungen und soziale Hierarchien miteinander verflochten sind.

Stimmen aus dem modernen Indien: O‑Töne aus unterschiedlichen Lebenswelten

Konsum und neue Trends: Ein Gespräch in Delhis Lajpat Nagar

Im geschäftigen Basar von Lajpat Nagar in Neu‑Delhi stehen Familien dicht gedrängt zwischen Ständen voller Lichterketten, vergoldeter Wandbehänge und kunstvoller hölzerner Ganesh‑Figuren. Der Händler Ravi Ratan beobachtet das Treiben und bemerkt, dass dieses Jahr vor allem Wandbehänge und „evil‑eye“‑Dekorationen gefragt seien. „Die Leute wollen ihre Häuser böse Geister fernhalten und gleichzeitig Instagram‑tauglich dekorieren“, sagt er mit einem Lächeln. Viele Käuferinnen seien bereit, auch einmal mehr Geld auszugeben, solange die Ware „trendig“ sei, erzählt er.

Die junge Hausfrau Divyanshi Patra kommt aus einem Mittelklasseviertel. Sie zieht, wie sie sagt, „seit Jahren mit meinen Freundinnen durch Sadar Bazar und Lajpat Nagar“, weil dort die Auswahl riesig ist. Dieses Jahr habe sie so viele Wandbehänge gekauft wie noch nie. „Wir achten darauf, dass alles schön und farbenfroh ist – aber ich kaufe hauptsächlich Produkte aus Indien. Chinesische Waren meide ich, weil wir unsere eigenen Handwerker unterstützen sollten.“ Diese Aussage spiegelt eine breitere Bewegung wider, die von der Regierung und Handelsverbänden propagiert wird: „Vocal for Local“ – kaufe lokal produzierte Produkte, um die heimische Wirtschaft zu stärken.

Konsumboom und ökonomische Zahlen

Der Verband CAIT (Confederation of All India Traders) spricht von einem Rekordumsatz. Laut einem Bericht erreichte der Diwali‑Umsatz 2025 6,05 Billionen Rupien, davon 5,40 Billionen an Waren und 65.000 Crore an Dienstleistungen. Das bedeutet einen 25‑prozentigen Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Praveen Khandelwal, CAIT‑Generalsekretär und Mitglied des indischen Parlaments, erklärt die Zahlen so: „Der Aufruf von Premierminister Narendra Modi zu ‘Vocal for Local‘ und ‘Swadeshi Diwali‘ ist bei den Menschen auf fruchtbaren Boden gefallen – 87 Prozent der Verbraucher bevorzugten indische Waren statt importierter Produkte. Händler berichteten von einem 25‑prozentigen Umsatzanstieg bei indischen Produkten im Vergleich zum Vorjahr“. Er betont zudem, dass rund fünf Millionen temporäre Arbeitsplätze entstanden seien, vor allem in Logistik, Verpackung, Transport und Einzelhandel.

Eine Studie der Marktforschungsgesellschaft LocalCircles befragte 49.000 Haushalte in Städten und stellte fest, dass 40 Prozent in Wohn‑ und Inneneinrichtung investieren und 38 Prozent Kleidung oder Schmuck kaufen wollen. Etwa 70 Prozent der städtischen Konsumenten bevorzugen weiterhin lokale Geschäfte; nur 13 Prozent kaufen ausschließlich online. Diese Zahlen belegen, wie sehr Diwali zur wirtschaftlichen Konjunktur beiträgt – aber sie zeigen auch, wie sich traditionelle Märkte behaupten.

Im Schatten der Lichter: Slum‑Bewohnerinnen in Bhopal

Nicht alle können sich den Glitzer leisten. In einem provisorischen Lager in Bhopal sitzen Familien auf zerbeulten Blechdächern und halten Kerzen in der Hand – allerdings nicht als festliche Lampen, sondern als Protestkerzen. Die Lokalregierung hat ihnen eine Räumungsanordnung zugestellt. Bewohnerin Kalpana Singh Vakhala sagt: „Wir halten Kerzen der Proteste, statt Lampen der Freude. Wir verlangen Gerechtigkeit, nicht Häuser“. Ihre Nachbarin Karma Bai ergänzt: „Unser Diwali ist dunkel geworden. Sie haben unsere Häuser abgerissen und unsere Träume zerstört“. Die junge Mutter Chaya Singh hat ihre Hütte nicht geschmückt: „Wie könnte ich Lampen anzünden, wenn jeden Tag die Abrisskolonne kommen kann?“.

Die Behörden erklären, dass die Bewohner in das staatliche Wohnungsbauprogramm umgesiedelt werden sollen. Doch in den Augen der Betroffenen ist die Räumung mitten im größten Fest des Jahres eine Demütigung. Sie fühlen sich wie Menschen zweiter Klasse, während anderswo Lichterketten funkeln. Diese O‑Töne zeigen, wie sozialer Ausschluss selbst am Fest der Lichter fortbesteht.

Philanthropie und „Faral‑Kits“

Es gibt aber auch Menschen, die sich der notleidenden Bevölkerung widmen. In Maharashtra verteilt die Rajyog Foundation zusammen mit dem Rotary Club „Faral‑Kits“ – Pakete mit Süßigkeiten, Öllampen, Öl, Kleidung und Gewürzen – an Tausende arme Familien, darunter Obdachlose, alte Menschen, Waisenhäuser und Mitglieder der Transgender‑Community. Auch dies ist Teil des Diwali‑Geistes: das Teilen von Reichtum und Freude mit jenen, die sonst ausgeschlossen werden.

Diaspora‑Perspektiven: Diwali in Syrakus

Über Indiens Grenzen hinaus feiern Millionen im Ausland. Bei einer Diwali‑Veranstaltung an der Syracuse University in den USA spricht Professor Rani (Ray): „Diwali ist für mich, unsere eigene Tradition zu schaffen und das Erlebnis des Lichts zu teilen. Wir genießen die Einfachheit – einen Kerzenschein anzuzünden und sich mit anderen Menschen zu verbinden“. K.G. Das, Vorstandsmitglied des Zentrums Mantra Central, betont, dass Diwali universell sei: „Diwali ist universell. Jeder kann sich mit dem Sieg des Lichts über die Dunkelheit identifizieren. Die eigentliche Feier ist die innere Reflexion und das Überwinden persönlicher Herausforderungen“. Der Student Christian Prosper freut sich vor allem über das Miteinander: „Das Fest ist wunderschön. Alle lächeln und reden miteinander“. Und Sonali, eine junge Inderin, sagt: „Es ist schön, so viele Menschen zu sehen, die das Essen genießen und die Kultur erleben, in der ich aufgewachsen bin“.

Diese Stimmen verdeutlichen, wie das Fest in der Diaspora zu einer Identitätsbrücke wird: Man erinnert sich an Heimat, vermittelt zugleich die universelle Botschaft von Licht und Gemeinschaft und schafft neue Traditionen.

Zwischen Spiritualität und Wissenschaft: Geister der Vergangenheit und Stimmen der Gegenwart

Sadhguru: Diwali als „Energiebooster“

Der spirituelle Lehrer Sadhguru sorgt immer wieder für Debatten, indem er religiöse Traditionen wissenschaftlich interpretiert. In einem Interview erklärte er, Diwali sei weniger ein religiöses Fest als ein energetisches Ritual. Er betont, dass die Tage rund um den Mondmonat Karthikamasa eine natürliche Verlangsamung auslösen: „Ab dem Trayodashi des Karthikamasa verändert sich alles. Das Leben verlangsamt sich – Pflanzen, Tiere, Menschen. Wenn du innerlich langsamer wirst, wirst du ein wenig träge. Deshalb braucht es Musik, mehr Licht, Lampen und Tanz, damit der Körper lebendig bleibt und nicht anfällig für Krankheiten wird“.

Sadhguru erinnert auch an den medizinischen Aspekt: Der Tag vor Diwali, Dhanteras, sei dem ayurvedischen Gott Dhanvantari gewidmet. Die Traditionen, Lampen zu entzünden und lebhafte Feste zu veranstalten, dienten dazu, Körper und Geist in den dunklen Monaten wach zu halten. Dieser Ansatz verleiht dem Fest eine holistische Dimension: nicht nur Mythos, sondern auch Gesundheitsvorsorge und Energiewirtschaft.

Stimmen von Weltpolitikern

Diwali wird längst nicht nur in Indien gefeiert. Inzwischen haben viele Regierungschefs erkannt, dass ihre Diwali‑Grußbotschaften die südasiatische Diaspora ansprechen. Im Jahr 2024 wünschte beispielsweise Donald Trump, früherer US‑Präsident, den Indern, Diwali sei eine Erinnerung daran, dass das Licht über die Dunkelheit siegt. Er forderte dazu auf, in schwierigen Zeiten Kraft aus Hoffnung zu schöpfen. Der britische Labour‑Chef Keir Starmer entzündete in Mumbai eine Diya und betonte, er wolle eine Gesellschaft aufbauen, „in der alle Menschen mit Hoffnung nach vorn blicken können“. Pakistans damaliger Premier Shehbaz Sharif erinnerte daran, dass das Fest die Dunkelheit der Intoleranz und Ungleichheit vertreiben müsse.

Solche Grußworte zeigen, wie Diwali zum Symbol globaler Interkulturalität und politischer Einbindung wird. Politiker nutzen die Gelegenheit, um Botschaften von Toleranz und Gemeinsamkeit zu senden – aber auch, um sich an die wachsende südasiatische Bevölkerung in ihren Ländern zu wenden.

Umwelt und Gesundheit: Zwischen Tradition und Smog

Diwali wäre nicht Diwali ohne laute Knallkörper und bunte Feuerwerke. Doch in den letzten Jahren hat sich die Debatte um Luftqualität zugespitzt. Reuters berichtete, dass die Konzentration von PM2,5‑Partikeln in Neu‑Delhi nach Diwali bis zu 59‑mal über den Grenzwerten der Weltgesundheitsorganisation lag. Die indische Umweltschutzbehörde CPCB stufte die Luft als „sehr schlecht“ ein. Die Konzentration an Feinstaub und giftigen Gasen führt regelmäßig dazu, dass Schulen geschlossen und der Autoverkehr eingeschränkt werden.

Indiens Oberstes Gericht erlaubte 2025 nach einer Klage der hinduistischen Gemeinde den Einsatz sogenannter „grüner Böller“ für drei Stunden am Abend. Diese sollen 30–50 Prozent weniger Schadstoffe ausstoßen. Doch die Realität sieht anders aus: Viele Menschen zündeten herkömmliche Feuerwerkskörper außerhalb der erlaubten Zeiten. Das Guardian‑Magazin schilderte, wie Delhi am Morgen danach in giftigem Dunst versank; die Luftqualitätsindexwerte lagen bei über 500 – „hazardous“.

Die ehemalige Chefsekretärin von Delhi, Shailaja Chandra, bezeichnete die grünen Böller als „Symbolpolitik“ und kritisierte das Oberste Gericht: „Die PM2,5‑Werte steigen in der Diwali‑Nacht um das Sechzehnfache; über 90 Prozent stammen aus Feuerwerken. Grüne Böller sind nur 30 Prozent weniger schädlich und kaum erhältlich“. Sie plädiert für zentrale Laser‑ und Drohnenshows statt tausender Privatzündungen.

Auch Sumaira Abdulali von der Awaaz Foundation warnt: Selbst „grüne Feuerwerkskörper“ enthalten Schadstoffe. Sie fordert strenge Kontrollen, Barcodes zur Kennzeichnung und ein striktes Verbot außerhalt der erlaubten Stunden. Diese Stimmen zeigen den Konflikt zwischen Tradition und Umweltbewusstsein. Viele junge Menschen verzichten inzwischen auf Feuerwerk oder spenden stattdessen Geld für Baumplantagen. Dennoch bleibt der politische Druck groß, die „kulturelle Identität“ zu bewahren, was zu halbherzigen Kompromissen wie dem Konzept der „grünen Böller“ führt.

Digitales Bezahlen: UPI‑Boom während Diwali

Das Lichterfest hat auch die digitalen Finanzen in die Höhe getrieben. Laut der Free Press Journal stieg der durchschnittliche tägliche Umsatz über die digitale Zahlungsplattform UPI im Oktober 2025 um 13 Prozent und erreichte 94.000 Crore Rupien. Am Vorabend von Diwali wurden 740 Millionen Transaktionen verzeichnet. Dieser Boom zeigt, wie rasch sich digitale Zahlungsmethoden im ländlichen und städtischen Indien verbreiten. Gerade während der Festzeit umgehen viele den Andrang in den Geschäften, indem sie online bezahlen, Bargeld abheben oder Geschenke digital versenden.

Gesellschaftliche und politische Dimensionen

Swadeshi und Nationalismus: Premierminister Narendra Modi nutzte Diwali immer wieder, um den Nationalstolz zu stärken. 2024 appellierte er in einer Ansprache, die Menschen sollten indische Produkte kaufen und die harte Arbeit der 140 Crore (1,4 Milliarden) Inder würdigen. „Möge der Geist der Positivität überall um uns herum herrschen“, sagte er und forderte die Bevölkerung auf, ihre Käufe in sozialen Medien zu teilen. Dieser Aufruf zum „Swadeshi“ (Eigenständigkeit) verknüpft Konsum mit Patriotismus und spiegelt die Regierungsstrategie wider, die heimische Produktion zu fördern und ausländische Konkurrenz – insbesondere aus China – abzuwehren.

Religion, Politik und Minderheiten: Diwali ist kein offizielles staatliches Fest für alle religiösen Gemeinschaften, doch feiern auch viele Christen und Muslime mit. Manche ultranationalistischen Gruppen fordern, die „indische Identität“ zu bewahren und „fremde Einflüsse“ zu verbannen. Gleichzeitig nutzen religiöse Minderheiten Diwali, um Brücken zu bauen. In mehreren Kirchen werden im Rahmen interreligiöser Begegnungen Kerzen angezündet und Spenden gesammelt. In muslimisch geprägten Vierteln schenken Nachbarn ihren hinduistischen Freunden Süßigkeiten, während diese zu Eid reciproze Glückwünsche senden. Solche Gesten sind umso wichtiger, als politische Akteure versuchen, religiöse Gräben zu vertiefen.

Zwischen Klassen – die soziologische Perspektive: In seiner Theorie des „Sanskritisierungsprozesses“ beschrieb M.N. Srinivas, wie untere Kasten versuchen, die Rituale der oberen Klassen zu imitieren, um im gesellschaftlichen Rang aufzusteigen. Diwali bietet hierfür eine Bühne. In wohlhabenden Vierteln werden teure Designer‑Lehenga getragen und „Themenpartys“ gefeiert. In den unteren Schichten beschränkt sich die Feier oft auf das Anzünden weniger Diyas und das Teilen eines einfachen Süßgebäcks. Trotz dieser Unterschiede existiert eine gemeinsame symbolische Sprache des Lichts. Doch der Zugang zu Ressourcen entscheidet darüber, wie hell es strahlt.

Diwali und die Wirtschaft – Motor oder Risiko?

Branchen im Aufwind: Die größten Profiteure des Diwali‑Booms sind der Einzelhandel, die Süßwarenindustrie, Gold‑ und Schmuckhändler sowie Hersteller von Elektronik und Dekorationsartikeln. CAIT berichtet, dass Fast Moving Consumer Goods mit 12 Prozent den größten Anteil am Gesamtumsatz ausmachen. Gefolgt wird dies von Gold und Schmuck (10 Prozent) und Elektronik (8 Prozent). Die hohen Umsätze lassen sich auf Preissenkungen bei der Mehrwertsteuer zurückführen. Mehr als 72 Prozent der befragten Händler führen den Umsatzsprung auf niedrigere Steuern zurück.

Digitale Plattformen und lokale Geschäfte: Interessant ist, dass trotz des Online‑Booms 70 Prozent der Konsumenten laut Umfrage weiterhin lokal einkaufen. Händler wie Ravi Ratan setzen zunehmend auf hybride Modelle: sie präsentieren ihre Ware auf Instagram, wickeln Zahlungen per UPI ab und liefern per Kurier. Die Pandemie hat diese Entwicklung beschleunigt und dem bargeldlosen Zahlungsverkehr einen gewaltigen Schub gegeben.

Risiken und Schattenseiten: Jedes Jahr berichten die Zeitungen von Verschuldungen, die durch Festivalausgaben entstehen. In vielen ländlichen Gegenden nehmen Familien Kredite auf, um neue Kleider oder ein kleines Feuerwerk zu finanzieren – mit der Hoffnung, dass der Segen Lakshmis sie im kommenden Jahr materiell belohnt. Doch ohne stabile Einkünfte können diese Schulden zur Falle werden. Zudem verschärfen hohe Nachfrage und Lieferkettenprobleme die Inflation, vor allem bei Lebensmitteln und Gold. So ist Diwali zwar ein Konjunkturpaket, aber auch ein Preistreiber.

Ökologische und gesundheitliche Auswirkungen

Luftverschmutzung und Smog: Die Kombination aus landwirtschaftlichen Stoppelfeldbränden, winterlichem Nebel und Feuerwerk führt in Nordindien zu gefährlichem Smog. Laut IQAir wurden die PM2,5‑Werte in Delhi nach Diwali 59‑mal höher als die WHO‑Richtlinie. Eine umweltfreundliche Alternative wären zentrale Laser‑ oder Drohnenshows, wie sie bereits in einigen Städten getestet werden. Gegner argumentieren jedoch, dass der Knall und der Geruch der Feuerwerkskörper Teil der Tradition seien. Die Diskussion zwischen Umweltbewusstsein und Brauchtum spiegelt einen breiteren Wandel wider: Junge Städter verzichten zunehmend auf Feuerwerk oder nutzen nur „geräuschlose“ Lichtershows.

Lärmbelastung und Gesundheit: Abgesehen von der Luftbelastung verursacht das laute Feuerwerk auch Stress bei Kindern, älteren Menschen und Haustieren. In vielen Bundesstaaten gibt es daher zeitliche Beschränkungen. Aktivistin Sumaira Abdulali fordert nicht nur klare Barcodes und Kennzeichnungen für grüne Böller, sondern auch strikte Durchsetzung von Lärmverordnungen. Ärzte warnen zudem vor Verbrennungen und Verletzungen, die jedes Jahr Hunderte in die Notaufnahme bringen. Traditionelle Öllampen können durch moderne Lichterketten ersetzt werden, doch für viele bleibt das Anzünden von Diyas ein symbolischer Akt, der nicht aufgegeben werden soll.

Müll und Ressourcenverbrauch: Nach der Festnacht sind die Straßen mit Papierschnipseln, Plastikverpackungen und zerbrochenen Töpfen bedeckt. Obwohl immer mehr Städte Initiativen zur Mülltrennung starten, landet der Großteil auf Deponien. Ökologen beklagen auch den steigenden Energieverbrauch durch Lichterketten. Einige Organisationen werben daher für Solarlampen oder LED‑Lichter. Diwali könnte so auch ein Anlass sein, nachhaltige Technologien voranzutreiben.

Zwischen Resilienz und Hoffnung: Die Zukunft von Diwali: Wie steht es um die Zukunft dieses größten indischen Festes? Diwali ist in seiner Wandelbarkeit einzigartig. Es hat politische Umbrüche, religiöse Reformen und technologische Revolutionen überdauert. Gleichzeitig zwingt der Klimawandel zum Umdenken. Die Frage, wie Traditionen bewahrt und gleichzeitig die Umwelt geschützt werden können, bleibt brisant.

Reformen von innen: Viele Gemeinden setzen bereits auf gemeinschaftliche Feiern statt individueller Feuerwerke. In einigen Städten organisieren lokale Behörden Lichtshows, Musikveranstaltungen und Zero‑Waste‑Rangoli‑Wettbewerbe. Diese bewusste Entmaterialisierung könnte verhindern, dass Diwali zum reinen Konsumfest verkommt. Religionsgelehrte betonen immer wieder, dass der wahre Zweck der Lampen das innere Erwachen ist, nicht der äußere Prunk.

Ökonomische Chancen und soziale Verantwortung: Angesichts der gewaltigen Kaufkraft rund um Diwali könnten Unternehmen nachhaltige Produkte fördern: schadstofffreie Farben, handgemachte Diyas aus Naturmaterialien, recyceltes Geschenkpapier. Die wachsende Mittelschicht ist bereit, für ethische Produkte zu bezahlen, sofern diese modisch ansprechend sind. Gleichzeitig muss die Regierung in Wohnungsbau und Armutsbekämpfung investieren, damit auch Slumbewohner wie Kalpana Singh Vakhala und Karma Bai ohne Angst vor Räumung feiern können.

Globalisierung und kulturelle Hybridität: Die weltweite Diaspora wird Diwali weiter globalisieren. In London, New York, Durban und Singapur werden öffentliche Diwali‑Feste mit Bollywood‑Tänzen, indischem Street‑Food und Yoga‑Sessions veranstaltet. Dabei entsteht ein hybrider Mix aus Pop‑Kultur und Tradition. Die Grundidee – Licht als Symbol für Hoffnung, Wissen und Frieden – bleibt universell. Wie K.G. Das treffend sagt: „Das wahre Fest ist die innere Reflexion und das Überwinden persönlicher Dunkelheit“.

Ein Fest zwischen Glanz und Schatten

Diwali ist eine Leinwand, auf der Indien seine Geschichten malt: Geschichten von Göttern und Dämonen, von Bauern und Bankern, von Protest und Konsum, von Smog und Sternenglanz. Das Fest erzählt von einem Land im Umbruch, in dem Traditionen weiterleben und sich gleichzeitig verändern. Es zeigt, wie ein uraltes Ritual heute in Instagram‑Stories erscheint und wie digitale Zahlungen ebenso selbstverständlich sind wie das Anzünden eines Diyas. Es offenbart aber auch die Widersprüche: Während die einen Glitzer und Gold kaufen, kämpft eine slum‑Bewohnerin um ihr Dach. Während die Regierung „Vocal for Local“ fordert, erstickt Delhi im Rauch.

Der anhaltende ökologische Konflikt zwingt zu Entscheidungen. Feuerwerk oder Luft zum Atmen? Konsum oder Nachhaltigkeit? In diesem Spannungsfeld liegt die Chance für eine neue Diwali‑Kultur, die der alten treu bleibt, aber die Schattenseiten nicht ignoriert. Wenn das Fest in Zukunft bestehen soll, muss es seiner eigenen Botschaft gerecht werden: Licht vertreibt Dunkelheit – und dieses Licht kann nur entstehen, wenn wir uns der Realität stellen, Verantwortung übernehmen und Solidarität zeigen. So bleibt Diwali ein Fest der Hoffnung – für das individuelle Leben, für die Gesellschaft und vielleicht auch für den Planeten

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